Eine ungesunde Gesundheitsreform in der Schweiz, Teil 2

In meinem letzten Blog habe ich über die vom Schweizer Bundesrat vorgeschlagene Reform des Schweizer Gesundheitswesens und über eine umstrittene Massnahme zur Einführung von Budgetbeschränkungen für die ambulante Gesundheitsversorgung geschrieben, mit der die Ausgaben für Behandlungen begrenzt werden. Die Einzelheiten sind in meinem letzten Blog erläutert. Diese Massnahme wird von den Betroffenen fast einhellig abgelehnt: von Patient:innen, Ärzt:innen, Versicherern und der Industrie.

Die Vorschläge wurden dem Parlament im Frühjahr vorgelegt. Dieses Blog-Titelfoto wurde von Michel Guillaume, Korrespondent des Bundeshauses für die Schweizer Zeitung "Le Temps", auf Twitter veröffentlicht und zeigt die Anwesenheit bei der Parlamentssitzung am 31.05.2022. Es dokumentiert die Beteiligung und das Engagement - oder vielmehr den Mangel daran - der Schweizer Parlamentarier:innen bei der Diskussion eines der wichtigsten Themen für die Bürger:innen und die Gesellschaft - die Gesundheitsreform zur Schaffung eines Gesundheitssystems, das die beste Versorgung für alle in der Gesellschaft bietet. Wie Michel Guillaume von Le Temps berichtete, nahmen nicht einmal ¼ der Parlamentarier:innen an der Debatte teil. Vor diesem Hintergrund der Gleichgültigkeit wurde das Gesetz am 07.09.2022 ordnungsgemäss verabschiedet, der Bundesrat nahm die Gesetzesvorlage zur Änderung des Krankenversicherungsgesetzes an.

Die genehmigte Strategie lässt viele andere Möglichkeiten zur Kosteneinsparung und zur Verbesserung der Qualität der Versorgung ausser Acht. Insbesondere werden die Möglichkeiten zur Kosteneinsparung ignoriert, die sich ergeben, wenn man den Patient:innen zuhört - etwas, worüber ich in diesem und anderen Blogs geschrieben habe. Diese wären beträchtlich - wenn die richtigen Anreize und Strukturen zur Verfügung gestellt würden.

Patient:innen im Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung

Die Reform sollte die Patient:innen in den Mittelpunkt des Gesundheitswesens stellen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich das System auf künftige Herausforderungen und Chancen vorbereiten kann. Politiker scheinen das Schweizer Gesundheitssystem als eine fiskalische Belastung zu sehen, die durch Sparmassnahmen und Budgetbeschränkungen bewältigt wird. Meiner Meinung nach ist ein effektives und effizientes Gesundheitssystem eine Investition in die Arbeitskräfte als Voraussetzung für eine florierende und gleichberechte Wirtschaft. Ich bestreite nicht, dass es im Schweizer System enorme Kostenineffizienzen gibt. Jede/r, der oder die das System nutzt, wird häufig mit ihnen konfrontiert. Die Reformbemühungen der Regierung scheinen das Problem darin zu sehen, dass Ärzt:innen medizinisch ungerechtfertigte Behandlungen durchführen und ambulanten Patient:innen zu viele Medikamente verschreiben, für eine Behandlung, die sie nicht wirklich brauchen und ihre Beschwerde sich vielleicht nur ausdenken. Ist dies wirklich die Hauptursache der Probleme?

Wie die meisten Menschen, die von chronischen Krankheiten[1] betroffen sind, gehe ich relativ häufig zum Arzt und nehme teure Medikamente ein. Vielleicht führen Budgetrestriktionen dazu, dass mein Arzt meine Versorgung einschränkt und damit die direkten Kosten meiner ambulanten Behandlung reduziert. Aber chronische Krankheiten verursachen auch indirekte Kosten, nämlich den krankheitsbedingten Produktivitätsverlust der Patienten und ihrer Familien. Es gab Zeiten, in denen ich nicht zum Dorfladen gehen konnte, nicht schlafen konnte und nicht arbeiten konnte. Insgesamt habe ich fünf Jahre meines Lebens damit verbracht, Arbeitslosengeld zu beziehen. Jetzt arbeite ich Teilzeit.

Meine Situation ist keine Ausnahme. Es gibt Tausende von Menschen, denen es so ergeht. [2 ] Wenn die ambulanten Dienste eingeschränkt werden, die es Menschen wie mir ermöglichen, wieder ein normales Leben zu führen, können die indirekten Gesundheitskosten und das damit verbundene Elend und die Not der betroffenen Patient:innen steigen. Und diese Kosten sind nicht zu vernachlässigen. Wie die nachstehende Grafik zeigt, sind die indirekten Kosten von muskeloskelettalen Erkrankungen viel höher als die direkten Kosten der ambulanten Behandlung. Schauen wir uns das genauer an.

Die Gesundheitskosten werden nicht von den Ärzten verursacht!

In der Schweiz sind 80 % der Gesundheitskosten auf chronische oder nicht übertragbare Krankheiten (NDCs) zurückzuführen - in normalen Zeiten ausserhalb der Covid-19-Pandemie. Die vier grössten Kostentreiber sind hier dargestellt, wobei die direkten Kosten lila[3] und die oben erwähnten indirekten Kosten türkis[4] schattiert sind. Die grösste Krankheitsgruppe sind die muskeloskelettalen Erkrankungen. Es ist ersichtlich, dass die gesamten indirekten Kosten für die vier teuersten Krankheiten höher sind als ihre direkten Kosten. Diese Zahlen wurden zuletzt im Jahr 2011 veröffentlicht. Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind die Kosten der NDCs in der Schweiz zwischen 2011 und 2019 um weitere 28% gestiegen.

Die neuen Massnahmen werden die ambulante Gesundheitsversorgung einschränken, aber sie gehen nicht den Bereich an, in dem die meisten Kosten anfallen: die indirekten Kosten. Stattdessen werden die Massnahmen mit ziemlicher Sicherheit die Qualität der Versorgung verringern und die Wahlmöglichkeiten der Patienten einschränken, was zu höheren indirekten Kosten führen kann. Ausserdem werden sie zu höheren Verwaltungskosten führen, da das medizinische Personal den Nachweis erbringen muss, dass es keine überhöhten Ausgaben tätigt. Dies kann durchaus zu unerwünschten Ausweichmanövern und Nebenwirkungen führen.... Wie wirken sich diese bürokratischen Massnahmen und der bürokratische Aufwand beispielsweise auf die Motivation der Ärzt:innen und des Pflegepersonals aus, von denen viele durch die mehr als zwei anstrengenden Jahre der Pandemie bereits demoralisiert sind?

Patient:innen wissen es am besten!

Meine Ärzte wollen das Beste für mich. Sie haben ein enormes Fachwissen und wissen viel über meine Krankheiten. Aber ich weiss auch viel über mich selbst, weil ich 24/7 mit meinen Krankheiten lebe. Vor allem bei chronischen Patienten mit Multimorbidität kann sich kein Arzt oder Ärztin dieses Wissen jemals aneignen, wenn er/sie Patient:innen vielleicht 1-2 Mal im Jahr sieht.

Das Gesundheitswesen hat eine jahrhundertelange Tradition des Patriarchats und nicht auf den Verbraucher zuhören. Überlegen Sie mal: In welchen anderen Branchen werden die Verbraucher:innen nicht nach ihren Bedürfnissen und Wünschen befragt? Ich habe vor über 5 Jahren begonnen, diesen Blog zu schreiben, weil es mir der beste Weg schien, meiner Stimme als Patientin Gehör zu verschaffen. Seither hat der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) damit begonnen, einige medizinische Forschungsprojekte zu finanzieren, bei denen die Patient:innen einbezogen werden müssen. Die Swiss Clinical Trials Organisation (SCTO) hat damit begonnen, Ressourcen über PPI (Patienten- und Öffentlichkeitsbeteiligung) in der klinischen medizinischen Forschung zu erstellen. Die Schweizerische Patientenorganisation SPO ist dabei, einen beratenden Patientenrat einzurichten, der sich aus Patient:innen zusammensetzt. Andere Patientenorganisationen ergreifen ähnliche Initiativen, obwohl diese Patient:innen noch selten in die Entscheidungsgremien eingebunden sind. Patientengeführte Organisationen sind in der Schweiz fast unbekannt. [5] Die RheumaCura-Stiftung, die ich letztes Jahr mitbegründet habe, ist eine der ersten.

In den öffentlichen Gesundheitskommissionen, die die Regierung beraten, werden immer häufiger auch Patientenvertreter:innen einbezogen, auch wenn diese Position bisher in der Regel von einem Angehörigen der Gesundheitsberufe und nicht von Patient:innen mit gelebten Erfahrungen wahrgenommen wird. Wenn eine Politiker:in mit mir sprechen wollte, würde ich viele Fragen haben. Zwei davon werden durch diesen Blog aufgeworfen:

Warum werden die indirekten Kosten der Gesundheitsversorgung in der Gesundheitsreform nicht berücksichtigt?

Warum werden chronisch Kranke nicht so unterstützt, dass sie weniger Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen, so lange wie möglich arbeiten können, aktiv an der Gesellschaft teilhaben und durch ihre Einkünfte Steuereinnahmen an den Staat abführen?


[1 ] Diese werden auch als nicht übertragbare Krankheiten bezeichnet und sind allgemein definiert als Erkrankungen, die ein Jahr oder länger andauern und ständige medizinische Betreuung erfordern oder die Aktivitäten des täglichen Lebens einschränken oder beides. Dies steht im Gegensatz zu akuten Erkrankungen, die plötzlich auftreten, sofortige oder sich schnell entwickelnde Symptome haben und von begrenzter Dauer sind, wie z. B. eine Grippe.

[2 ] Am Beispiel von Krebsüberlebenden wurde dazu aufgerufen, die indirekten Kosten für chronisch Kranke anzugehen. Françoise Meunier, ehemalige Präsidentin der Europäischen Organisation für Forschung und Behandlung von Krebs, fordert Massnahmen zur Beendigung der Diskriminierung von Krebsüberlebenden am Arbeitsplatz und in finanzieller Hinsicht, die zu hohen indirekten Kosten der Krankheit führt.

[3 ] Wieser (2014) definiert direkte Kosten als medizinische Kosten, die direkt durch den Ressourcenaufwand für die Behandlung einer Krankheit entstehen (stationäre Kosten, ambulante Kosten, Medikamentenkosten) und nicht-medizinische Kosten wie z.B. die Anpassung der häuslichen Einrichtungen, die in dieser Studie nicht gemessen wurden. Siehe Wieser et al. (2014) Die Kosten der nicht übertragbaren Krankheiten in der Schweiz, Schlussbericht im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit.

[4 ] Wieser (2014) schreibt, dass Produktivitätsverluste bei Patient:innen in Form von verminderter Leistung während der Arbeit (Präsentismus), vorübergehender Abwesenheit von der Arbeit (Absentismus) oder dauerhafter Abwesenheit (Frühverrentung) auftreten. Darüber hinaus können Produktivitätsverluste durch einen vorzeitigen Tod entstehen. Bei Angehörigen verursacht die unbezahlte Pflege (informelle Pflege) Produktivitätsverluste).

[5] Patientengeführt im Sinne der Europäischen Arzneimittelorganisation (EMA)

Eine ungesunde Gesundheitsreform in der Schweiz

Der Schweizer Bundesrat plant im Rahmen der Gesundheitsreform eine Rationierung der Gesundheitsversorgung. Das unmittelbare Ziel der Rationierung ist es, die Kosten zu senken. Als Patientin schliesse ich mich einer breiten Koalition an, die diesen Vorschlag als verfehlt kritisiert.

Wird die Rationierung der Gesundheitsversorgung die finanziellen Gesundheitskosten senken?

Und wie wird sich die Rationierung auf die Kosten in Form von menschlichem Leid auswirken, wenn sie die Qualität der Versorgung verringert?

Wenn Sie daran interessiert sind, mehr zu erfahren, lesen Sie bitte weiter...

Die Gesundheitsversorgung in der Schweiz gilt als hervorragend, ist aber auch sehr teuer. Ausserdem sind die Kostenbeiträge für die Patient:innen hoch, was das System regressiv macht: Die durch Krankheit oder niedriges Einkommen benachteiligten Menschen tragen eine verhältnismässig höhere Kostenlast als die gesunden wohlhabenden Menschen. (Die Wohlhabenden sind per se gesünder als von Armut betroffenen Menschen: zum Teil deshalb, weil sie die Mittel haben, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben und die Ärzt:innen bei den ersten Anzeichen eines Gesundheitsproblems aufzusuchen, anstatt zu warten, bis es ernster wird).

Das Schweizer Gesundheitssystem ist stark kommerzialisiert - selbst die Kinderspitäler streben Gewinne an, weil das System dies so vorgibt. Es ist zudem fragmentiert, wobei die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung weitgehend an die Kantone delegiert wurde, was de facto zu 26 verschiedenen Gesundheitssystemen führt. Diese Systeme werden von verschiedenen öffentlichen und privaten Stellen (Bund, Kantone, Gemeinden, Krankenversicherer und Leistungserbringer) verwaltet, organisiert und finanziert. Diese komplexe Aufgabenteilung und verschiedene Finanzierungssysteme machen das Schweizer Gesundheitssystem intransparent und kaum zu verstehen. Sie erfordern eine kostspielige Verwaltung, welche sowohl Patient:innen als auch Ärzt:innen hilft, sich im System zurechtzufinden.

Eine wirksame Steuerung dieses komplexen Systems wird zudem durch die langsame Entscheidungsfindung des politischen Systems der Schweiz und den unzulässigen Einfluss der Privatwirtschaft beeinträchtigt. Die Mitglieder der Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit im Stände- und Nationalrat ziehen beispielsweise eine beeindruckende Liste von Lobbyist:innen an, die im Interesse der von ihnen vertretenen Privatwirtschaft arbeiten und nicht im Interesse der Öffentlichkeit, die die Kommissionsmitglieder zu vertreten haben. Viele Kommissionsmitglieder sind auch in den Verwaltungsräten von Akteuren der Gesundheitsbranche tätig, was zu einem Interessenkonflikt mit ihrem parlamentarischen Mandat führt.

Schliesslich gibt es keine unabhängige Institution für öffentliche Gesundheit wie das Robert Koch-Institut, wie es sie in Deutschland gibt. Das Bundesamt für Gesundheit(BAG) wird unter Druck gesetzt, den politischen Entscheidungsträgern zu dienen. So erklärte zum Beispiel der für Sars-CoV-2 zuständige Arzt des BAG zu Beginn der Pandemie, dass Masken unnötig seien und die Bevölkerung nicht schützen würden. Viele glaubten, die wahre Erklärung sei, dass es nicht einmal für das Spitalpersonal genügend Masken gab, weil die Vorschriften für die Vorratshaltung nicht eingehalten worden waren. Was auch immer der Grund war, die Glaubwürdigkeit des BAG war in Frage gestellt.

In Anbetracht dieser Hintergründe und Merkmale argumentiere ich, dass das Schweizer Gesundheitssystem trotz des leidenschaftlich individuellen Engagements der meisten Fachleute im Gesundheitswesen in erster Linie den Branchen dient, die davon profitieren, und nicht den Menschen, für die es eigentlich da sein sollte: der Öffentlichkeit und insbesondere den Patient:innen.

Das Schweizer Gesundheitssystem dient in erster Linie den Branchen, die davon profitieren, und nicht den Menschen, für die es eigentlich da sein sollte: der Öffentlichkeit und insbesondere den Patient:innen.

Info-Box

Ein gängiges Argument gegen Kritik am Schweizer Gesundheitssystem ist, dass das System ausgezeichnet und die Bevölkerung zufrieden ist. Die jüngste Bewertung des Commonwealth Fund stuft das Schweizer Gesundheitswesen insgesamt auf Platz 9 von 11 Ländern mit hohem Einkommen und auf Platz 3 der teuersten Länder ein. Die Schweiz schneidet bei der administrativen Effizienz und dem Zugang zur Versorgung schlecht ab. Erhebungen über die Zufriedenheit der Bevölkerung variieren stark und stimmen nicht immer mit Qualitätsmessungen überein. So geniesst das nationale Gesundheitssystem im Vereinigten Königreich eine hohe öffentliche Wertschätzung, wird aber in der Schweiz sehr kritisch betrachtet. Im Schweizer Radio wird das britische System erklärt und mit den USA verglichen.

2019 veröffentlichte die Regierung eine Gesundheitsstrategie mit dem Titel "Health2030", in der viele der Probleme aufgezeigt werden, mit denen nicht nur die Schweiz, sondern auch die Gesundheitssysteme weltweit konfrontiert sind: Digitalisierung, demografischer Wandel, Zunahme der nicht übertragbaren Krankheiten und steigende Kosten der Gesundheitsversorgung.

Eine der von einer Expertengruppe vorgeschlagenen Massnahmen ist eine Gesetzgebung, die es der Regierung ermöglicht, das Wachstum der Gesundheitskosten durch "Ausgabenziele" zu begrenzen, d. h. durch Budgetbeschränkungen für die ambulante Versorgung. Das Ergebnis ist im Wesentlichen, dass ein Zielwert für die Anzahl der Krankheiten festgelegt wird, die in einem bestimmten Zeitraum, z. B. einem Jahr, ambulant behandelt werden können. Wenn die Ausgaben in diesem Jahr die festgelegte Grenze erreichen, müssen entweder Leistungen gekürzt, Wartezeiten eingeführt oder Patient:innen von der ambulanten in die stationäre Versorgung verlagert werden. Ein System von Budgetbeschränkungen wurde auch in anderen Ländern eingeführt, z. B. im Vereinigten Königreich und in jüngster Zeit in Deutschland.

Dieser Vorschlag stösst bei allen Partnern im Gesundheitswesen auf einhellige Kritik, so auch bei den Patient:innen, der Ärztevereinigung FMH, den Versichererungen und den Industrievetretungen. Die Konsultation mit den Patientenvertretungen war nur oberflächlich, und die Patient:innenen verfügen nicht über die Mittel für eine Kampagne, die anderen Akteuren im Gesundheitswesen zur Verfügung stehen. Im Folgenden stelle ich die Patientenperspektive zu diesen vorgeschlagenen Massnahmen dar. Die Ansichten sind meine eigenen, wurden aber mit anderen Betroffenen und der Schweizerischen Patientenorganisation SPO diskutiert.

Ausgabenziele im Gesundheitswesen setzen voraus, dass die Kosten kontrolliert und vorhergesagt werden können. Krankheiten oder Unfälle sind jedoch von Natur aus unerwünschte und nicht planbare Ereignisse, wie die Covid-19-Pandemie deutlich gezeigt hat. Dementsprechend können die Behandlungskosten nur dann genau vorhergesagt oder reguliert werden, wenn ausdrücklich beschlossen wird, nicht über ein bestimmtes Ziel hinaus zu behandeln. (Stefan Felder von der Universität Basel zeigt die Unmöglichkeit dieses Ansatzes und andere Unzulänglichkeiten auf, die ich hier nicht weiter erläutern möchte.) Nichtsdestotrotz ist dies die Strategie: Die Regierung schlägt vor, eine Budgetbeschränkung für die ambulante medizinische Versorgung festzulegen.

Eine solche Strategie eröffnet den Patient:innen beängstigende Perspektiven. Wenn Sie eines Tages die Diagnose Krebs erhalten, werden Sie sofort behandelt werden wollen und nicht warten. 10 % der Frauen weltweit erkranken irgendwann in ihrem Leben an Brustkrebs. Wenn bei einer Frau in der Schweiz aufgrund einer Mammographie der Verdacht auf Brustkrebs besteht, wird innerhalb von zwei Wochen nach der Verdachtsdiagnose eine Biopsie durchgeführt und mit der Behandlung begonnen. Was ist, wenn sie im Oktober eine verdächtige Mammographie erhält, aber das Budget für dieses Jahr bereits ausgeschöpft ist? Muss sie dann bis Januar warten, um die Biopsie, die ambulante Lumpektomie oder die Strahlentherapie zu erhalten? Ich, die persönlich von einer schnellen Behandlung profitiert habe, möchte nicht, dass andere Frauen aufgrund von Budgetbeschränkungen warten müssen.

Verzögerungen bei der Behandlung können zu schlechteren Ergebnissen führen. Zum Vergleich: In der Schweiz (und in anderen Ländern) führte die Covid-Pandemie dazu, dass viele Behandlungen verschoben wurden. Die zukünftigen Verluste an Lebensjahren oder Lebensqualität sind unbekannt. Die Folgen in Form von schlechteren Behandlungsergebnissen müssen noch bewertet werden. Das medizinische Personal stand vor einem enormen ethischen Dilemma, da es entscheiden musste, welche Patienten Vorrang haben sollten. Wie wird sich das auf die Moral des medizinischen Personals auswirken, wenn solche Dilemmata in das System eingebaut sind und nicht nur das Ergebnis einer weltweiten Katastrophe?

Abgesehen von den Folgen für die Patientinnen ist es unwahrscheinlich, dass diese Massnahme langfristig zu nachhaltigen Kosteneinsparungen führen wird. Nehmen wir an, dass Budgetbeschränkungen eingeführt werden, die medizinischen Kosten die Kostenobergrenze erreichen und die Rationierung der Versorgung einsetzt. Dies wird zu anderen Kosten im Gesundheitswesen führen. Im Falle von Krebs ist bekannt, dass jede Verzögerung das Risiko erhöht, dass sich der Krebs ausbreitet und nicht oder nur zu höheren Kosten geheilt werden kann. Dies gilt übrigens auch für die meisten anderen chronischen Krankheiten. Das Hinauszögern oder Aufschieben einer angemessenen Behandlung kann kurzfristig Kosten einsparen oder auch nicht, aber es scheint schwer vorstellbar, dass dies nicht die Qualität der Behandlung beeinträchtigt und zu schlechteren Ergebnissen führt, was wiederum menschliches Leid bedeutet.

Eine verzögerte oder aufgeschobene Behandlung mag kurzfristig Kosten einsparen oder auch nicht, aber es scheint schwer vorstellbar, dass dies nicht die Qualität der Versorgung beeinträchtigt und zu schlechteren Ergebnissen mit hohen Kosten für menschliches Leid führt.

Die Regierungsstrategie übersieht auch viele andere Möglichkeiten, Kosten zu sparen und die Qualität der Versorgung zu verbessern. Die Möglichkeiten zur Kosteneinsparung, die sich durch das Zuhören der Patient:innen ergeben - worüber ich in diesem und anderen Blogs geschrieben habe - sind enorm, wenn die richtigen Anreize und Strukturen zur Verfügung gestellt werden.

Schliesslich sind chronische, nicht übertragbare Krankheiten wie meine der grösste Kostenfaktor im Schweizer Gesundheitssystem, wie die Strategie Health2030 anerkennt. Es scheint wahrscheinlich, dass die chronisch Kranken von dieser Reform am stärksten betroffen sein werden, was möglicherweise neue systemische Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung schaffen wird.

In meinen nächsten Blogs werde ich untersuchen, wie chronisch Kranke von dieser Reform betroffen sein werden und wie die Patient:innen zu einem Gesundheitssystem beitragen können, das die Kosten senkt, ohne zu schlechteren Behandlungsergebnissen zu führen.

Fortsetzung folgt ......